Heideglühen

Seestr. 1, 13353 Berlin

Der schlimmste Mensch der Welt
Spielfilm, Norwegen, Frankreich u.a. 2021
Regie Joachim Trier
Darsteller Renate Reinsve, Maria Grazia Di Meo, Anders Danielsen Lie

„Der schlimmste Mensch der Welt“ ist elegant und großzügig, euphorisch und großherzig, ein Film von großer handwerklicher Expertise, der sein Können, seinen entzückend spielerischen Umgang mit den Mitteln des bewegten Bilds immer in den Dienst stellt eines erstaunlichen Porträts einer jungen Frau in Oslo an der Schwelle zur vierten Lebensdekade, die soviel über ihr Leben nachdenkt, dass sie in Stasis gefangen ist: Keine Lebensentscheidung will die richtige sein; wenn sie nach links gegangen ist, kommen die Zweifel: Wäre rechts nicht doch besser gewesen? Das macht es nicht leicht für die einstmals geniale Schülerin, der man eine große Karriere vorausgesagt hatte: Medizin? Psychologie? Oder doch Fotografie? Julies romantisches Leben ist nicht minder Lust und Laune unterworfen. Selbst ihre feste Beziehung zu dem etwas älteren Comic-Künstler Aksel ist Verhandlungssache. Und geht dann eher überraschend in die Brüche, als sie sich einbildet, ein Flirt mit dem etwas einfältigen Eivind könnte doch etwas Wichtigeres sein.

Was „Der schlimmste Mensch der Welt“ so besonders macht und abhebt von anderen Zeitgeistkomödien, ist die Entschlossenheit von Trier und seiner fulminanten Hauptdarstellerin Renate Reinsve, nie den Stab über Julie zu brechen. Ihre Unentschlossenheit, ihre Unzufriedenheit, ihr Wankelmut sind hier kein Makel, es sind Qualitäten in einer Welt, in der man sich daran gewöhnt hat, immer ein Ziel vor Augen haben zu müssen, eine Rolle zu spielen. Nur so kann dem Film sein bester Trick gelingen, nach mehr als einer Stunde Laufzeit einen wilden Haken zu schlagen, von einer amüsierten und verspielten Sittenkomödie, komplett mit belustigtem allwissenden Erzähler wie aus einer Jane-Austen-Verfilmung, zu einem Drama auf Leben und buchstäblich Tod: Was ist, wenn die Zeit knapp wird? Was bleibt, wenn sie abgelaufen ist? Weil Trier bisher mit so großem Herzen erzählt hat, so großzügig und liebevoll, geht einem das Drama, das sich unvermittelt zwischen Julie und ihrem Ex Aksel entfaltet, so nahe.